Wir hatten im Kinderzimmer eine große Tobeecke eingerichtet, Polster unten und an den zwei Wandseiten, da konnte man dann durchs Zimmer rennen und sich mit Karacho reinwerfen, oder an der Sprossenwand daneben hochklettern und aus zwei Metern Höhe runterspringen. Getobt haben wir auch sehr oft (machen wir immer noch), und rennen durfte er natürlich auch. Nicht ununterbrochen, nicht frühmorgens oder spätabends, aber ein grundsätzliches Gebot, dass in der Wohnung nicht gerannt werden darf, finde ich mit Kindern sehr schwierig. Für ein Kind mit normalem Bewegungsdrang frustrierend, für eins mit viel Bewegungsdrang eine echte Qual. Wenn ihr nicht einen Garten habt, in den er dann sofort rauskann - wo soll er denn mit der Energie hin, um Himmels willen?
Ich selbst hab immer noch oft schreckliche Bewegungsdrangschübe, dann gehe ich klettern oder aufs Wasser, wenn das nicht geht, renne ich um den Block oder geh auf die Rudermaschine oder mach ein, zwei Trainingszyklen (oder bekletter den Kerl). Wenn ich damit nirgends hinkann, werde ich absolut unerträglich. Ich weiß nicht, ob Du das Gefühl kennst, aber es ist erst ein Kribbeln in den Beinen und im Hinterkopf, dann auf der ganzen Haut, dann fangen die Füße an zu zucken, und wenn ich mich nicht spätestens dann bewege, dann wird mir übel, und ich werde wirklich grantig. Als Kind MUSSTE ich manchmal rennen, auch sehr plötzlich, es schoss wie ein Stromstoß in mich, und wenn ich es nicht in Bewegung umgesetzt hab, dann war der Ofen KOMPLETT aus, dann ging nix mehr.
Meine Eltern haben Sprüche notiert, und ich hab den hier gerade rausgesucht (da war ich vier):
"Wir haben Besuch, Shojo hat wenig geschlafen und ist müde und gereizt. Sie fährt wie wild mit der Karre durch die Wohnung und sagt: Jetzt muss ich einfach was Wildes tun, sonst flipp ich aus!"
So. Wenn ein Kind "spinnt", wenn es immer wieder "schwierig" ist, dann ist das oft kein Erziehungsproblem in dem Sinne (obwohl ich es wirklich nicht zielführend finde, wenn ich Sachen, die das Kind längst weiß, dreimal sagt, und erst beim vierten Mal unterbindet ihr das ... er weiß es, also reicht eine Ermahnung so was von völlig, alles andere ist in meinen Augen wirklich Quatsch), sondern das Kind hat irgendwelche wichtigen Bedürfnisse, die derzeit nicht erfüllt werden. Unser Kind neigt dazu, mich anzugehen, mit Sprüchen oder indem es beim Toben ungewohnt grob ist, und es steckt immer, absolut IMMER derselbe Grund dahinter: Kontaktbedürfnis. Er macht das, wenn ich zu viel arbeite, wenn ich konstant mit den Gedanken woanders bin, wenn er eifersüchtig ist, weil ich einen seiner Kumpels so gern mag und er das Gefühl hat, ich hätte lieber den als Kind, solche Sachen. Da haben Ermahnungen noch nie geholfen, denn das, was dahintersteckt, ist so elementar, dass es sich Bahn brechen MUSS.
Ich tu unserem Kind keinen Gefallen damit, wenn ich mir das gefallen lasse, aber ihn dafür einfach abzustrafen geht auch komplett an der Sache vorbei. Inzwischen kann er es auch anders äußern, aber lange war es so, dass ich das als Signal genommen habe, um zu schauen, was gerade bei uns los ist. Und dann hab ich mir Zeit für ihn genommen, wir haben gekuschelt, geredet, sind zusammen auf den Spielplatz gegangen. Dann musste er sich meine Aufmerksamkeit nicht erkämpfen, sondern hat sie bekommen, und ich hab ihn auch gefragt und das mit ihm gemeinsam benannt. Weil kleine Kinder das noch nicht allein können. Dafür sind Eltern da. Eltern müssen sich Gedanken machen, was bei ihren Kindern gerade los ist, was sie brauchen (nicht wollen, sondern wirklich brauchen), und sie müssen dafür sorgen, dass die Kinder es bekommen. Das ist unser Job, wenn wir Kinder bekommen.
Wenn Dein Sohn fernsehen will, dann ist es nicht das, was er braucht. Aber wenn er so ein Theater macht, dann braucht er etwas, das er in dem Moment nicht bekommt und was das Fernsehen in dem Moment halbwegs ersetzen könnte, weil es seine Aufmerksamkeit ausreichend in Anspruch nimmt, um ihn von diesem unerfüllten Etwas abzulenken (bei kleinen Kindern sind das meistens: Bewegung, Schlaf, echte elterliche Aufmerksamkeit, Hunger, Durst).