Alles anzeigenDie Mohrenstraße ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass es ein schwieriges Thema ist, Süntje. Ich bin nun wirklich kein Sprachwissenschaftler und man kann bestimmt mit den unterschiedlichsten Ergebnissen über Etymologie und Bedeutungswandel dieses Wortes diskutieren, ich denke aber, das bringt uns hier nicht wirklich weiter. Was mir wichtig ist, dass in diesem Fall Thierse durch seine Ablehnung einer Umbenennung der Mohrenstraße genauso wenig zum Rassisten wird wie unser Timba, der für das begrifflich sicherlich angreifbarere Zigeuner-Schnitzel streitet.
Aber gut, ich versuche mal eine Thierse-Exegese: Er wendet sich doch im Grunde gegen (rechte oder linke) Identitätspolitik und beruft sich dabei stark auf den von mir sehr geschätzten Dahrendorf, der meines Erachtens insoweit stark von Popper und jenseits des Positivismusstreits wohl auch von Adorno geprägt war. Als selbstangemaßter Thierse-Versteher meine ich, dass er insbesondere dann rechte oder linke Identitätspolitik kritisiert, wenn durch sie der Common Sense einer freien, offenen und pluralen Gesellschaft beeinträchtigt wird. Im Grunde sind wir hier bei der praktischen Anwendung und auch der Reichweite von Poppers Toleranz-Paradoxon. Ich zitiere nachfolgend mal aus Wikipedia, wo das kurz, aber dennoch ganz schön dargestellt ist:
ZitatAlles anzeigen[...]
Die Anwendung von Intoleranz im Namen der Toleranz sollte entsprechend vorsichtig und nur als Ultima Ratio stattfinden.
„Damit möchte ich nicht sagen, dass wir z.B. intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken, denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.
Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“
Eine universelle Toleranz lehnt Popper grundsätzlich ab.
„Weniger bekannt ist das Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“
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Ist, vereinfacht ausgedrückt, das "der Klügere gibt nach" bzw. "linke Backe, rechte Backe"-Problem, oder?