Aktivismus - Wahn oder Sinn?

  • und ich hab gemeint, "bürgerlicher Ungehorsam" sei "Steuern hinterziehen", oder "falsch parken" :smiling_face_with_halo:

    sorry, bin von der Schweizer Politik verdorben

    Ist das denn in der Schweiz überhaupt schon ungehorsam, okay "Falsch Parken" wahrscheinlich schon :flucht:

  • Also ich verstehe es so, ziviler Ungehorsam muss , wenn er wirken soll, ein Rechtsbruch sein- aber ein sehr feiner , zarter :D:(: -sprich ohne Gewalt und Zerstörung , hier ist die Frage - ab wann ist es Gewalt , Zerstörung - wo sind die Grenzen - und genau das war ja auch meine Frage . Wer bestimmt diese Grenzen, wie weit darf es gehen?

  • Also ich verstehe es so, ziviler Ungehorsam muss , wenn er wirken soll, ein Rechtsbruch sein- aber ein sehr feiner , zarter :D:(: -sprich ohne Gewalt und Zerstörung , hier ist die Frage - ab wann ist es Gewalt , Zerstörung - wo sind die Grenzen - und genau das war ja auch meine Frage . Wer bestimmt diese Grenzen, wie weit darf es gehen?

    Und das Motiv muss genauestens, auf allgemein gängige und moralische Grundsätze geprüft werden 👍

  • Mir gefällt insoweit der Ansatz von Rawls und Habermas recht gut. Rawls hat versucht, ihn wie folgt zu fassen:

    Zitat

    Der ziviler Ungehorsam wird in Situationen ausgeübt, wo man mit Festnahme und Bestrafung rechnet und sie ohne Widerstand hinnimmt. Auf diese Weise zeigt der bürgerliche Ungehorsam, dass er legale Verfahrensweisen respektiert. Der bürgerliche Ungehorsam bringt den Ungehorsam gegenüber dem Gesetz innerhalb der Grenzen der Rechtstreue zum Ausdruck, und dieses Merkmal trägt dazu bei, dass in den Augen der Mehrheit der Eindruck geweckt wird, es handele sich wirklich um eine Sache der Überzeugung und Aufrichtigkeit, die tatsächlich an ihren Gerechtigkeitssinn gerichtet ist.

    Mir der von Zinn noch besser.

    Zitat

    „Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam. Aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die große Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen Menschen wegen diesem zivilen Gehorsam getötet werden. Unser Problem besteht darin, dass Menschen gehorsam sind, sich die Gefängnisse wegen Bagatellen füllen, während die großen Verbrecher die Staatsgeschäfte führen. Das ist unser Problem.“

    https://www.deutschlandfunkkul…vilen-ungehorsam-100.html

    Ja, der große Howard Zinn :grinning_face: , geprägt von McCarthy und Hoover sowie in der Zeit der Rassendiskriminierung, der Bürgerrechtskämpfe und des Vietnamkrieges. Diese scharfe Formulierung passt zu ihm und der damaligen Lebensrealität. Primär ist er mir bekannt für sein denkwürdiges Gerichtsgutachten im Ellsberg-Prozess im Hinblick auf die Pentagon-Papers:

    Zitat

    [...] Ich erklärte, dass es in den Papieren nichts militärisch bedeutsames gab, was benützt werden könnte, um der Verteidigung der USA zu schaden, dass die offengelegte Information peinlich für die Regierung war, weil sie zeigte, in den internen Memoranden der Regierung selbst, wie sie die amerikanische Öffentlichkeit belogen hatte.


    […]


    Die Geheimnisse, die durch die Pentagon Papers offengelegt wurden, mochten unangenehm für Politiker sein oder den Profiten von Firmen schaden, die Zinn, Gummi und Öl von weit entfernten Orten wollten, aber das war nicht dasselbe, wie der Nation, dem Volk zu schaden. [...]

  • Also ich verstehe es so, ziviler Ungehorsam muss , wenn er wirken soll, ein Rechtsbruch sein- aber ein sehr feiner , zarter :D:(: -sprich ohne Gewalt und Zerstörung , hier ist die Frage - ab wann ist es Gewalt , Zerstörung - wo sind die Grenzen - und genau das war ja auch meine Frage . Wer bestimmt diese Grenzen, wie weit darf es gehen?


    Jein ... es gibt auch Interpretationen von "zivilem Ungehorsam", dass Gewalt gegen Sachen dazu gehören darf.

  • Man muss aber auch festhalten, dass wir hier auf der Ebene der Rechts- und Staatsphilosophie sind, d.h. beide gehen selbstverständlich auch davon aus, dass der Staat den zivilen Ungehorsam als Rechtsbruch bezeichnen und ahnden muss.

    Ist es nicht so? Der zivile Ungehorsam selbst ist nicht strafbar, aber die Handlungen, die in seinem Namen ausgeführt werden, sind im Einzelfall auf Rechtsverstöße zu prüfen.

  • Man muss aber auch festhalten, dass wir hier auf der Ebene der Rechts- und Staatsphilosophie sind, d.h. beide gehen selbstverständlich auch davon aus, dass der Staat den zivilen Ungehorsam als Rechtsbruch bezeichnen und ahnden muss.

    Ist es nicht so? Der zivile Ungehorsam selbst ist nicht strafbar, aber die Handlungen, die in seinem Namen ausgeführt werden, sind im Einzelfall auf Rechtsverstöße zu prüfen.

    Natürlich, strafbar können nur die Handlungen sein. Meines Erachtens ist das entscheidende, dass der zivile Ungehorsam als einem freihetlich-demokratischen Rechtsstaat immanent betrachtet werden muss. Wenn man es nur optisch betrachtet, so haben wir eine regelmäßige Verabredung zu gezielten Straftaten mit zum Teil klandestinen Strukturen, also klassische Merkmale einer kriminellen oder eventuell terroristischen Organisation. Das ist natürlich grober Unfug, eben weil es hier um zivilen Ungehorsam geht.

  • Noch mal kurz zu Howard Zinn, Crazyleni . Der ging mir kürzlich durch den Kopf als ich ein bisschen in Christina Lafonts "Unverkürzte Demokratie - Eine Theorie deliberativer Bürgerbeteiligung" gelesen habe; übrigens sehr empfehlenswert. Die Grundthematik ist zwar eine andere, es geht primär um ein frühzeitiges Gegensteuern gegen die Populismus-Pest, aber der nachfolgende Gedanke passt auch hier:

    Zitat

    [...] Das demokratische Ideal, sich wechselseitig als Freie und Gleiche zu behandeln, lebt von der Selbstverpflichtung, einander von der Vernünftigkeit allgemein verbindlicher politischer Entscheidungen zu überzeugen, und dieses Ideal verkümmert, wenn wir uns gegenseitig schlicht zu Gehorsam nötigen. Nur wenn sich Bürgerinnen und Bürger wirklich verpflichtet fühlen, einander zu überzeugen, können sie sich mit den Institutionen, Gesetzen und Regelungen, denen sie unterworfen sind, auch weiterhin identifizieren und sie ohne Entfremdung als ihre eigenen begreifen. Der gegenwärtige Aufstieg des Populismus zeigt an, welche Gefahr Demokratien droht, die diese Bedenken kurzerhand in den Wind schlagen.


    [...]


    Es geht hier nicht darum, ob von den Bürgern verlangt wird, sich den politischen Entscheidungen anderer zu Fügen. Alle repräsentativen Demokratien verlangen das von ihren Bürgern. Die Frage ist vielmehr, ob auch erwartet wird, dass sie dies blind tun. [...]

  • hm- verstehe ich das richtig Bion

    also ist auch Gewalt, Zerstörung ok- bei zivilem Ungehorsam, nur soll ich ich bei der Festnahme keinen Widerstand leisten und zeige so , dass ich die Strafe dafür akzeptiere/respektiere aber nicht die Gesetze? Bürgerlicher Ungehorsam sind zum Beispiel friedliche Demos ohne Zerstörung , ohne Gewalt - ich bin ungehorsam innerhalb des gesetzlichen Rahmens ?

    Nein, klassische Gewalt und willkürliche Zerstörungen werden von den beiden nicht mehr als ziviler Ungehorsam begriffen. Sorry, mein Zitat war da etwas aus dem Zusammenhang gerissen. Habermas und Rawls gehen im Grunde davon aus, dass der zivile Ungehorsam immer in einem feinen Grenzbereich zwischen Legalität und Legitimität erfolgt. Insbesondere setzen Sie voraus, dass er für ein nach allgemeinen Grundsätzen moralisches Ziel erfolgt, er darf insbesondere nicht eigennützig und von Gewinnunteressen getrieben sein. Vor dem Hintergrund, dass der zivile Ungehorsam im Ergebnis eine Durchbrechung rechtsstaatlicher Grundsätze und des Gewaltmonopols ist, sehen sie ihn nur in ganz engen Grenzen innerhalb einer freiheitlichen und plural verfassten Demokratie als legitim an. Man muss aber auch festhalten, dass wir hier auf der Ebene der Rechts- und Staatsphilosophie sind, d.h. beide gehen selbstverständlich auch davon aus, dass der Staat den zivilen Ungehorsam als Rechtsbruch bezeichnen und ahnden muss.

    Das ist doch viel zu differenziert und anstrengend :rolling_on_the_floor_laughing: :rolling_on_the_floor_laughing: :rolling_on_the_floor_laughing:

    Ach was :grinning_face:!

  • Das spricht mich viel mehr an , auch wenn es anstrengender ist

  • Oh, vielen Dank für den Hinweis. Werde mich gleich mal über ihr Werk kundig machen. Erscheint mir ein wenig wie die Fortführung von Habermas´ Konzeptes deliberativer Demokratie.


    Passt großartig,. finde ich.,

  • Wenn ich das nur früher gewusst hätte, dann hätte ich einfach nie geduscht. So einfach ist das Leben für manche.

    Eher nicht. Moderne Straftäter haben immer eine Flasche Febreze dabei. Für alle Fälle. :winking_face:

    Stell dir vor, du bist so gegen Krieg, dass du dich vor allem dafür einsetzt, dass derjenige gewinnt, der ihn begonnen hat.

  • Mir gefällt insoweit der Ansatz von Rawls und Habermas recht gut. Rawls hat versucht, ihn wie folgt zu fassen:

    Zitat

    Der ziviler Ungehorsam wird in Situationen ausgeübt, wo man mit Festnahme und Bestrafung rechnet und sie ohne Widerstand hinnimmt. Auf diese Weise zeigt der bürgerliche Ungehorsam, dass er legale Verfahrensweisen respektiert. Der bürgerliche Ungehorsam bringt den Ungehorsam gegenüber dem Gesetz innerhalb der Grenzen der Rechtstreue zum Ausdruck, und dieses Merkmal trägt dazu bei, dass in den Augen der Mehrheit der Eindruck geweckt wird, es handele sich wirklich um eine Sache der Überzeugung und Aufrichtigkeit, die tatsächlich an ihren Gerechtigkeitssinn gerichtet ist.

    Mir der von Zinn noch besser.

    Zitat

    https://www.deutschlandfunkkul…vilen-ungehorsam-100.html

    Ich hab nochmal darüber nachgedacht und bin nicht wirklich glücklich mit dem zivilen Widerstand , für mich sind da viele Fragen offen bezüglich der Grenzen und den Folgen von zivilen Widerstand


    1.) Dieses Recht von zivilem Ungehorsam steht in dem Fall jedem zu , der glaubt , für eine vermeintlich gute Sache zu kämpfen.

    Das heißt für mich , dass zum Beispiel auch die Identitären , die Rechtsextremen genau so zivilen Ungehorsam ausüben dürfen , denn wer bestimmt , welches Motiv gut ist und welches nicht ?


    2,) Das hab ich gestern schon gefagt , gibt es eine genau Definitation von Gewalt und Zerstörung , was fällt darunter ?

    Elleth schreibt zum Beispiel , dass teilweise auch Zerstörung erlaubt ist , was heißt das - welche Zerstörung , wo sind die Grenzen ?

    Sieht man ja schon hier im Faden , wie unterschiedlich das gesehen wird - deshalb braucht es doch Gesetze, das kann doch nicht Auslegungssache der jeweiligen Gruppen sein , die diesen zivilen Ungehorsam nutzen , um seine Interessen durchzusetzen - und das bringt mich zu Frage 3


    zu diesem Zitat :

    Zitat

    Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam. Aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die große Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen Menschen wegen diesem zivilen Gehorsam getötet werden. Unser Problem besteht darin, dass Menschen gehorsam sind, sich die Gefängnisse wegen Bagatellen füllen, während die großen Verbrecher die Staatsgeschäfte führen. Das ist unser Problem.“



    3) Wenn ein Großteil der Bevölkerung mit den Anliegen nichts anfangen kann , eine andere Einstellung vertritt - können sie ja ebenfalls zivilen Ungehorsam anwenden , sollte die Regierung nicht nach ihren Vorstellungen darauf reagieren , das ist meine größte Sorge . Der Kampf wird doch auf die Straße ausgelagert . Warum noch wählen , was hat das noch mit einer Demokratie zu tun? Das würde einen Bürgekrieg auslösen .

  • Ich glaube du hast die Punkte für zusammen gefasst, Purzel. Es gibt einen Interpretationsraum, der nicht klar definiert ist, wenn es um die Legitimation und die Ausführung geht. Gerade in dieser Diskussion wird deutlich, wie unterschiedlich hier die Auffassungen und Motive sind. Die Betrachtung der Sache sollte im Bestfall auf einem Gremium verschiedener Interessensgruppen erfolgen, was ja aber völlig utopisch ist. Die Bewertung findet meistens ausschließlich in der entsprechenden Gruppe statt, die natürlich den Grund nicht hinterfragt. Hier besteht eben die Gefahr der Radikalisierung und Verblendung hinsichtlich meiner gewählten Methoden und Motive.

    denn wer bestimmt , welches Motiv gut ist und welches nicht ?

    Der kategorische Imperativ - muss man halt auch darüber nachdenken, welche mittel- und langfristigen Folgen die Umsetzung der Forderungen hat... Beim Rechtsextremismus kommt man da mit einem "allgemeinen Gesetz" eben nicht weit, da er nur die eigene Gruppe bevorzugt, was dann unweigerlich an den Kontaktpunkten zu Konflikten um die Vorherrschaft führt...

  • denn wer bestimmt , welches Motiv gut ist und welches nicht ?

    Der kategorische Imperativ - muss man halt auch darüber nachdenken, welche mittel- und langfristigen Folgen die Umsetzung der Forderungen hat... Beim Rechtsextremismus kommt man da mit einem "allgemeinen Gesetz" eben nicht weit, da er nur die eigene Gruppe bevorzugt, was dann unweigerlich an den Kontaktpunkten zu Konflikten um die Vorherrschaft führt...

    Das ist doch aber bei vielen anderen Themen ähnlich und wird von der Gruppe selbst definiert. Die Bewertung erfolgt aufgrund der eigenen Motive. Darin liegt ja das Problem der neutralen Einschätzung.

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